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Nazis unterm Christbaum: Nutcracker – The Untold Story

Eine kindgerechte Nussknacker-Verfilmung, die – nicht Fisch, nicht Fleisch – lässig zwischen Drama, Komödie, Musical und Märchenfilm im Stil changiert, halb verpackt als alarmierende Holocaust-Parabel wider den Endsieg der Nazis, hier Ratten, ein Teelöffel Hoffmann, eine Messerspitze Einstein, ein Sprenkel Freud – das hätte gehörig schiefer gehen können.

Der Regisseur Andrei Konchalovsky gibt in einem Interview zu verstehen, dass er sich mit seinem Nussknacker-Projekt ein rund vierzig Jahre alten Traum erfüllt habe. Dass seine Idee so lange Zeit zum Reifen hatte, ist vielleicht auch der Grund für dieses Durcheinander, Drunter und Drüber an Intertextualität. Denn, seien wir ehrlich, dass der Film nicht ganz alle Zapfen am Baum hat, wird spätestens und hinlänglich klar, wenn Onkel Einstein – ja Albert. Nein, nicht explizit – „Alles ist relativ“ andante non troppo zum „Tanz der Zuckerfee“ trällernd die Treppen des Klimtschen Wiener Herrenhauses hochtänzelt, in dem diese „relativ“ weihnachtliche Geschichte sich zuträgt. Was bleibt da von Tschaikowskys Ballett und von Hoffmanns Märchen?

Der Plot in Kürze: Der hölzerne Nussknacker, den Mary (Ellen Fanning) am Weihnachtsabend von ihrem Onkel Albert (Nathan Lane) geschenkt bekommt, entpuppt sich als kühner Prinz im Jungenalter, dessen Königreich und Volk von dem bösen Rattenkönig (John Turturro) unterjocht ist. Zusammen und mit der Unterstützung von Marys Bruder sowie weiteren lebendigen Spielfiguren ziehen sie los, den Rodentyrannen zu stürzen.

Man nehme…

Nun mag es sein, dass es vielen gar nicht schwer fällt, den Film als das zu sehen, was er sein möchte: Ein Spaß für die ganze Familie, mit einigen Action-Szenen, einer kindlichen Heroin mit Tapferkeitsorden – nur der Prinz macht ihr die Knie weich – und mit der Peter-Pan-Losung „Ich glaube doch an Feen“, hier sind es Spielzeuge, auf den Lippen. Wir haben also den unschätzbaren Wert von Fantasie, da können sich auch die Großen eine Scheibe von abschneiden, Liebe, da eigentlich auch, und Zusammenhalt. Fertig ist der Film für die Feiertage.

Ganz und gar löblich ist es dem Regisseur anzurechnen, dass er Kinder mit seinem Nussknacker mit Umsicht und Bedacht und nicht mit dem Vorschlaghammer von Helikopter-Eltern an die Musik Tschaikowskys heranführt. So ein Familienausflug ins Ballett hat schon den ein oder anderen Heranwachsenden nachhaltig geschädigt. Auch die schönen Lyrics, die Sir Tim Rice (Der König der Löwen) extra für den Film zur Musik beigesteuert hat, werden Kindern den Zugang zu dieser Kunstform erleichtern.

Wer nicht Nager ist, ist gegen uns

Höchst bedenklich und unangebracht dagegen sind die krassen Holocaust-Metaphern. John Turturro mimt den Rattenkönig, eine Mischung aus Adolf Hitler und Andy Warhol. Die Regimeratten im Pink-Floyd-Look tragen SS-Mäntel und Stahlhelme. Vor einer finster-dystopischen einst-eine-prunkvolle-Stadt-Kulisse läuft die „Rattifiezierung“ auf Hochtouren. Herz und Nieren dieser Diktatur sind die Hochöfen der Fabriken, in denen versklavte Résistanceler haufenweise Spielzeuge in die lodernden Flammen schaufeln. Der Rauch, der verheißungsvoll aus den Schornsteinen über Rattstadt emporsteigt, bezweckt, dass kein Sonnenlicht mehr zum aller Hoffnung baren Erdboden durchdringen kann.

Es gibt eine Szene, ähnlich einer Bücherverbrennung, in der die Nager-Schergen Kinder und Eltern auf einem öffentlichen Platz zusammentreiben. Da müssen alle die Ratten-Hymne anstimmen und ihre Spielsachen zu einem Scheiterhaufen zusammenwerfen, der Führer labt sich vom Balkon aus an ihrer Verzweiflung. Das sind schon harte Bilder, die da viel zu beiläufig und unkritisch in einen Kinderfilm gestreut werden. Konchalovsky hat sich, trotz Happy End, mindestens in dieser Hinsicht arg überhoben. Das kann und sollte man nach einem besinnlichen Filmeabend am Weihnachtsbaum nicht so stehen lassen, darüber müssen Eltern mit ihren Kindern reden.

Seinen hervorragenden Darstellern verdankt es der Film, dass man hier bloß eines, statt beider Augen zudrücken muss. Sowohl die Kinderschauspieler als auch der Erwachsenen-Cast, allen voran Turturro, liefern große Arbeit ab. Zusammen mit der Score retten sie dem Streifen den Allerwertesten, sodass er doch eine, mit Onkel Albert gesprochen, „relativ“ weihnachtliche Figur abgibt.


Felix‘ 3 Picks

Zum ersten Weihnachts-Special hat Felix „It’s A Wonderful Life“ gewählt. Sandra freut sich daran und schreibt darüber.

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Felix

Als Student und Journalist lebt Felix in Frankfurt am Main – eine Stadt, die sein Herz sehr hoch schlagen lässt. Als Cineast hält er es mit Tucholskys Bonmot: „Ein Film – was kann das schon sein, wenn es die Zensur überlebt hat?“

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