Cineventure

Ein Thema, zwei Filme. Plus Meinung & Empfehlungen.

Die Engel, das sind die Anderen: It’s a Wonderful Life

Wir schreiben das Jahr 1946, eine Zeit in der Weihnachten noch nicht ganz so glitzernd, glänzend und Coca Cola-rot war, wie wir es heute gewöhnt sind. Die Menschheit hatte gerade den zweiten Weltkrieg hinter sich gebracht, James Stewart zählte bereits mit Ende 30 zu den ganz Großen seiner Zunft und im Kino läuft eine Geschichte an, die erst Jahrzehnte später den Sprung auf die Liste der ganz großen Weihnachtsklassiker schafft.

In It’s a Wonderful Life (zu deutsch Ist das Leben nicht schön?) inszeniert Regisseur Frank Capra nach der Erzählung The Greatest Gift von Philip van Doren Stern die Geschichte von George Bailey (James Stewart), dem der knapp 290 Jahre alte Schutzengelsflügel-Anwärter Clarence das Leben rettet, indem er ihm eine alternative Realität vor Augen führt. Eine dunkle Welt, in der der von Geldsorgen fast in den Suizid getriebene Bailey, nie geboren wurde. Be careful what you wish for… Gerade an Weihnachten.

Von Träumen und Realität

Gemeinsam mit Clarence wird der Zuschauer ins Leben des inzwischen 38-jährigen Bailey mitgenommen und lernt seinen Protagonisten über die Zeit hinweg kennen. Wir beginnen 1919, als George Bailey als Zwölfjähriger seinem jüngeren Bruder Harry das Leben rettet aber einen Hörschaden aus der Aktion mitnimmt, der ihn jedoch nicht daran hindert, später einmal ein großer Entdecker werden zu wollen. Einen Wunsch, den er bis zum Weihnachtsabend 1945 nie in die Tat umsetzen wird. Denn das Leben führt ihn auf andere Wege.

Um dem Zuschauer das klarzumachen und ihn nach spätestens zwei Dritteln des Films vollends für Bailey und seine Geschichte einzunehmen, nimmt Regisseur Capra bereitwillig in Kauf, dass sich der Film gerade in seiner ersten Hälfte immer mal wieder ein wenig in die Länge zieht. Es geht viel um Details. So sehr, dass man von jedem weiteren Eintauchen in die Geschichte auch immer wieder Neues mitnehmen kann. So, dass es alle Jahre wieder auf die neuen Erfahrungen der letzten zwölf Monate zurückgeht, ob das lachende oder das weinende Auge am Ende der Tragikomödie die Überhand gewinnt.

Kämpfer für den amerikanischen Traum

Entdecker wird unser Held wie gesagt nicht, dafür allerdings liebender Ehemann und Familienvater und nach dem Tod seines Vaters Geschäftsführer des Familienunternehmens Building and Loan, das gerade in Nachkriegszeiten die wichtige Symbolik des American Dream in die Tat umsetzt. Niemand muss im kleinen Städtchen Bedford Falls in den teuren Mietslums des archetypischen Bankers Henry Potter (großartig hassenswert gespielt von Lionel Barrymore) versauern, sondern hat die Chance sein Lebensglück im Eigenheim in Angriff zu nehmen.

George steht in Kontrast zu Potter für das Gute im Menschen, für den festen Glauben daran, dass jeder Vertrauen verdient, und bekommt das trotz steiniger Wege und der suizidalen Episode mit Schutzengel Clarence vielfach zurückgezahlt. Das Realistische am nahezu unerträglich harmonischen Happy End des Streifens: Die Läuterung des Scrooge-Charakters Potter bleibt an dieser Stelle aus. Realitätsbezug ist also trotz des fantastischen Ausflugs in die himmlische Welt der Engel von Anfang bis Ende Teil der Geschichte. Und als solcher auch durchaus eine Teilbegründung für den Durchbruch des Films als Free-TV-Weihnachtsklassiker in den 1970er-Jahren.

Nicht umsonst wurde der Streifen 2006, über 60 Jahre nach seiner Uraufführung in New York, vom American Film Institute auf die Liste der 100 inspirierendsten Filme aller Zeiten gewählt. Denn das Konzept Leben an sich kann in der Tat mindestens genauso wundervoll sein wie der gleichnamige Film. Und das nahende Jahresende ist vielleicht genau der richtige Zeitpunkt, um sich das immer wieder ins Gedächtnis zu rufen.


Sandra hat für die erste Runde im Cineventure Weihnachtsspecial „Nutcracker – The Untold Story“ ausgesucht. Felix bloggt darüber.

Sandras Top 3 Picks

Weitere Filme, die bei Sandra zu Weihnachten nicht fehlen dürfen:

Love Actually (Richard Curtis, 2003)
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The Santa Clause (John Pasquin, 1994)
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Miracle on 34th Street (Les Mayfield, 1994)
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Sandra

Sandra arbeitet als Journalistin und Übersetzerin in ihrer Wahlheimat Frankfurt. Zum Filmesammeln kam sie bereits im Teenie-Alter, was noch heute dazu führt, dass ihre Sammlung von einer leicht pastellfarbenen Schattierung geprägt ist. Stört sie aber nicht...

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